Der Einbezug der afrikanischen Diaspora in die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bietet die Chance, existierende Strukturen zu dekolonisieren und die Vielfalt afrikanischer Staaten stärker zu berücksichtigen. 

Das Foto zeigt das DAS-Jahrbuch mit dem Artikel von Ottmar von Holtz.

Durch ihr spezielles Wissen und Verständnis für die Dynamiken und Strukturen beider Kontinente kann die Diaspora Brücken bauen und zu einer Neuorientierung der deutsch-afrikanischen Beziehungen beitragen.

Das Dilemma der aktuellen Entwicklungszusammenarbeit

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) steckt in einem Dilemma: Auf der einen Seite steht die globale, historisch gewachsene Verantwortung, die Deutschland als europäische Industrienation und ehemalige Kolonialmacht gegenüber Staaten des Globalen Südens – gerade afrikanischen Staaten – hat. Auf der anderen Seite stehen Forderungen dieser Staaten nach endgültiger Emanzipation, finanzieller Unabhängigkeit und einer gestärkten internationalen Position. Beide Seiten sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass koloniale Kontinuitäten, asymmetrische Machtpositionen und unfaire Handelsbeziehungen weiterhin existieren und sich nicht weg reden lassen. Auch stehen viele Länder, gerade in Subsahara-Afrika, vor großen neuen Herausforderungen. So verstärkt der Klimawandel Extremwetterereignisse und erschwert die lokale Landwirtschaft. Das verschlechtert die Ernährungs- und Arbeitsmarktsituation, erhöht das Risiko für Konflikte und erzwingt Migration. Gleichzeitig sind, trotz positiver Entwicklungen beispielsweise in Malawi, demokratische Strukturen verstärkt unter Druck. Zivilgesellschaftliches Engagement wird in vielen (semi-)autokratischen Staaten eingeschränkt. Die COVID-19-Pandemie wirkt wie ein Brennglas und verstärkt bestehende Ungleichheiten.

Allerdings ist das nur ein Aspekt. Wir sehen ebenso eine zunehmend selbstbewusste Afrikanische Union (AU), die mit der Agenda 2063 ehrgeizige Ziele verfolgt, engagierte junge Zivilgesellschaften, die sich für demokratische Werte einsetzen und Grundrechte einfordern sowie Unternehmer:innen, Wissenschaftler:innen, Künstler:innen, Agrarproduzent:innen und viele mehr, die mit innovativen Ideen ihre Gesellschaften und den afrikanischen Kontinent gestalten und dabei oft auch die 17 internationalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Agenda 2030 verfolgen. Dieses Engagement gilt es lokal in partizipativen Prozessen zu unterstützen, um von einer paternalistischen EZ zu einer global gerechten internationalen Zusammenarbeit zu kommen.

Eine neue Rolle für die afrikanische Diaspora

Eine Chance, um diesen Wandel zu erreichen, ist der Einbezug der afrikanischen Diaspora in Entscheidungsprozesse der deutschen EZ. Zu oft fehlt das Wissen über lokale Dynamiken, Strukturen und kulturelle Institutionen, was sich nicht nur mit der Entsendung von Fachkräften beheben lässt. Hier kann die Diaspora helfen und eine Brücke zwischen den Kontinenten bauen. Mitglieder der Diaspora haben nicht nur eine besondere Perspektive auf Afrika und oft Erfahrungen aus beiden Lebenswelten, sondern Kontakte, starke Netzwerke und viel interkulturelles Knowhow. Dieses Humankapital gilt es zu erkennen und für eine nachhaltige, kontextspezifische und dekoloniale Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnerstaaten einzusetzen.

Die AU hat den Wert ihrer Diaspora längst erkannt und adressiert diese als offizielle sechste Region des afrikanischen Kontinentes. Mit dem Citizens and Diaspora Directorate (CIDO) verfolgt die AU das Ziel, Menschen afrikanischer Herkunft weltweit zu vernetzen und in die Entwicklung des Kontinentes und die Umsetzung der Agenda 2063 miteinzubeziehen. Viele Ziele der AU sind wiederum verbunden mit der internationalen Vereinbarung der Agenda 2030, zu der auch Deutschland sich verpflichtet hat. Nirgendwo sonst kommen unsere gemeinsamen Interessen so deutlich zu Tage. Darum ist es auch an uns, den Wert der afrikanischen Diaspora auch über die EZ hinaus als Brückenbauerin, Vermittlerin und Beraterin anzuerkennen und ihr Engagement zu stärken.

Wie beziehen wir die Diaspora besser ein?

Stärkung und Einbezug beginnen dort, wo die Ausgestaltung nicht allein von Politiker:innen definiert, sondern in Dialogformaten gemeinsam entwickelt wird. Daher der wichtige Hinweis, dass diesem Beitrag viele Gespräche mit afrikanischen Diasporaorganisationen vorangegangen und meine Vorschläge auch aus diesen entstanden sind. Sie sind Einladung für eine verstärkte Zusammenarbeit, denn nur so kann fehlendes Wissen generiert und diverse Perspektiven einbezogen werden.

Stärkung und Einbezug beginnen auch dort, wo Raum für Gespräche geöffnet und Austausch institutionalisiert wird. Dafür brauchen wir gegenseitiges Interesse, Offenheit und Respekt sowie die Anerkennung existierender Wissenslücken und fehlender Perspektiven in der aktuellen EZ. Auch brauchen wir Mut und den politischen Willen, alte Strukturen zu dekolonisieren.

Was wir ebenso dringend brauchen wie institutionalisierte Austauschformate ist mehr Wertschätzung für das Wissen der Diaspora über Dynamiken, Strukturen und kulturelle Institutionen in afrikanischen Gesellschaften. Dieses Wissen muss z.B. durch die Unterstützung und Aufwertung von afrikanischer und afrodiasporischer Forschung zugänglich gemacht werden und in politische Prozesse einfließen. Dies gilt auch für das Knowhow von Migrant:innen und Afrodeutschen.

Letztlich sollten, mit einem Fokus auf gemeinsame Interessen und Ziele, insbesondere der Umsetzung der SDGs und der Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens, themenspezifische Dialoge initiiert werden, durch die Expertise ausgetauscht und politische Entscheidungsprozesse begleitet werden. In meiner persönlichen Vorstellung könnte das ganz konkret auch durch einen Beirat für den oder die zukünftige Afrikabeautragte:n der Bundesregierung institutionell verankert werden.

Bis dahin stehen im Herbst erst einmal Wahlen an, die hoffentlich eine Veränderung bedeuten – auch im Hinblick auf die aktuelle deutsche Entwicklungszusammenarbeit, die deutsch-afrikanischen Beziehungen und den Einbezug der vielfältigen afrikanischen Diaspora in Deutschland.

T

Die Deutsche Afrika Stiftung (DAS) ist eine überparteiliche Stiftung, die sich für die Umsetzung der afrikapolitischen Leitlinien der deutschen Bundesregierung einsetzt. Als Vermittlerin will sie eine Plattform für den partnerschaftlichen Austausch zwischen deutschen und afrikanischen Akteurinnen und Akteuren sein und die Zusammenarbeit mit den Staaten und Institutionen Afrikas stärken. Eine Kernaufgabe ist die Vermittlung eines differenzierten Afrikabildes im politischen Raum und der deutschen Öffentlichkeit.