Zusammen mit Dr. Michael Huppertz von Amnesty habe ich einen Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau geschrieben, der am 15. Februar 2021 erschienen ist:
Von posttraumatischen Belastungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu kompletter Resignation gegenüber der eigenen Umwelt reicht die Bandbreite und Schwere mentaler Folgen, die in Krisenregionen wie in Irak, Syrien, Afghanistan oder dem Südsudan auftreten. Die Hoffnungslosigkeit, die die Menschen vor Ort erleben, hat sich durch Covid-19 noch verschlimmert.
Doch auch abseits der akuten Konfliktschauplätze ist mentale Gesundheit ein vernachlässigtes Thema. Menschen mit psychischen und epileptischen Erkrankungen haben in vielen Ländern Afrikas und Asiens kaum eine Chance auf eine adäquate psychiatrische, neurologische oder gar psychotherapeutische Behandlung. Die wenigen ausgebildeten Fachkräfte arbeiten vorzugsweise in den urbanen Zentren.
Die große Mehrheit der Bevölkerung sucht Hilfe bei traditionellen Heilern und sogenannten Gebetscamps. Dort werden viele kranke Angehörige abgegeben, festgehalten, häufig über Jahre angekettet und auf andere Weise misshandelt. Dort, wo es große psychiatrische Krankenhäuser gibt (zum Beispiel Indien, Pakistan, Mittelamerika), leiden ebenfalls viele Patienten unter Freiheitsberaubungen, Vernachlässigung, inadäquaten, gefährlichen und qualvollen Behandlungen sowie anderen Menschenrechtsverletzungen.
Die Ursachen liegen in der Hilflosigkeit der sozialen Umgebung angesichts des befremdlichen Verhaltens der Kranken, in mangelnder Aufklärung über die Krankheitsbilder auf allen Ebenen, der Stigmatisierung und Dämonisierung der Patient*innen. Hinzu kommt die generell schwache Ausstattung des Gesundheitssystems und die fehlende Bereitschaft der Regierungen, für Mental Health überhaupt Geld auszugeben, obwohl sie sich durch zahlreiche internationale Konventionen hierzu verpflichtet haben. Psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung (MHPSS) muss deshalb viel stärker in friedens- und entwicklungspolitische Debatten verankert werden als bisher.
Eine Anfrage der Grünen im Bundestag an die Bundesregierung hat ergeben, dass es an vielen Stellen weder genügend Mittel noch Schwerpunkte zugunsten der psychischen Gesundheit gibt. Von den zahlreichen Projekten, die das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium in Krisenregionen unterstützen, gibt es kaum Projekte mit explizitem MHPSS-Bezug.
Ohne eine durchdachte Strategie wird es auf lange Sicht kaum Lösungen geben. Die Dauer solcher Projekte kann nicht auf einige wenige Jahre beschränkt sein. Der Fokus muss darauf liegen, dass die Gesundheitssysteme vor Ort besser eingebunden werden, um langfristig auf die Bedürfnisse betroffener Menschen eingehen zu können und Versorgungsstrukturen zu entwickeln, die auch in Krisensituationen noch funktionieren.
Fortschritte auf diesem Gebiet würden den Gesellschaften als Ganzen zugutekommen, denn die inadäquate Versorgung führt nicht nur zur Chronifizierung behandelbarer Traumafolgen und anderer psychischer Erkrankungen, sondern sie blockiert und bindet auch Ressourcen, insbesondere der Frauen, von denen ansonsten die Familien und die Gemeinden etwas haben würden.
Daher ist es wichtig, dass mentale Gesundheit auch in spezifischen Langzeitprojekten in den Vordergrund gestellt wird. Dies muss in enger Kooperation mit lokalen Partner*innen geschehen.
Geeignete Maßnahmen wären hier die Bedarfserhebung, die Ausbildung von Fachkräften im Globalen Süden, die Unterstützung von Aufklärungs- und Entstigmatisierungskampagnen und Hilfe beim Aufbau einer gemeindepsychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung. Klare Empfehlungen dazu liegen seitens internationaler Fachgesellschaften und Organisationen wie der WHO vor. Nur mit einem starken internationalen Engagement können sie umgesetzt werden.
Informationen zu Hintergründen, Konventionen, Initiativen sowie Beispiele, Videos, Zahlen unter www.mental-health-and-human-rights.org