In Krisenregionen wie Syrien und Irak sind gerade Kinder durch andauernde Gewalt und Angst beeinträchtigt. Der Verlust der Familie und die Erfahrung von Krieg, Flucht und Vertreibung haben schwere Folgen für die mentale Gesundheit von Kindern.
Bei einem digitalen Fachgespräch der SOS-Kinderdörfer weltweit diskutierte ich mit Expert*innen über gegenwärtige Herausforderungen.
Die psychischen und mentalen Folgen für Kinder und Jugendliche sind in Krisengebieten enorm. Im Gegenteil zu Erwachsenen haben viele Kinder in Konfliktregionen wie Syrien und Irak nie Frieden erlebt und wachsen somit im Krieg auf. Durch dieses Umfeld entstehen nicht nur posttraumatische Belastungsstörungen. Die kontinuierliche Stresssituation und die Erfahrung, im Stich gelassen zu werden oder die Eltern zu verlieren, führen zu Verhaltensauffälligkeiten, Essstörungen, Stummheit, bis hin zu Suizidgedanken.
COVID-19 als zusätzliche Herausforderung
Durch die Corona-Pandemie hat sich die Situation für Kinder und Jugendliche, aber auch deren Eltern dramatisch verschlechtert. Nicht nur der Mangel an Gesundheitsversorgung spielt hier eine Rolle. Durch den Lockdown in den meisten Krisenländern haben viele Eltern ihre Arbeit verloren. „Mittlerweile verdienen Eltern durch die Beeinträchtigungen von COVID-19 oft nicht genug Geld, um ihre Kinder mit genug Essen zu versorgen“, schilderte die Sprecherin der SOS-Kinderdörfer Syrien Lur Katt. Die Schließungen von Schulen, sofern diese noch in den Konfliktgebieten existieren, wiegen außerdem schwer.
Interdisziplinarität und Weiterbildung für psychosoziale Angebote fördern
Die prekäre Lage in Konfliktregionen zeigt, dass mehr im Bereich der psychischen Gesundheit und psychosozialen Unterstützung (MHPSS – Mental Health and Psychological Support) getan werden muss. Um dies langfristig zu fördern, bedarf es an einem interdisziplinären MHPSS-Ansatz, der über ausreichend finanzielle Mittel verfügt. Hierfür müssen nicht nur Psycholog*innen und Psychiater*innen ausgebildet und eingesetzt werden, sondern auch Sozialarbeiter*innen, Pflegepersonal und Lehrkräfte. Wenn Lehrer*innen eine entsprechende Weiterbildung haben, können sie frühzeitig agieren, wenn Kinder mit Traumata die Schule besuchen. Wie wichtig der Schulbesuch für Kinder ist, zeigt sich auch durch die feste Tagesstruktur, die ein stabiles Umfeld schafft.
Kriegsverbrechen aufarbeiten
Neben der Arbeit mit Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft müssen aber auch Kriegsverbrechen aufgearbeitet werden. Diese müssen entsprechend geahndet werden. Die Beteiligten dieser Verbrechen müssen wissen, dass ihre Handlungen unter Strafe gestellt werden. Solange dies nicht auch ein Schwerpunkt ist, kann das Problem für die Betroffenen und die Akteure in der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit nicht gelöst werden.
Traumaarbeit stärker in den Fokus rücken
Die drastischen Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Menschen in Konfliktregionen verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf der Bundesregierung. Wir Grünen haben vor Kurzem in einer kleinen Anfrage das Engagement der Bundesregierung im Bereich der Traumabearbeitung und der psychosozialen Unterstützung im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit erfragt. Der MHPSS-Ansatz muss als integraler Bestandteil für friedensbildende Arbeit verstanden werden, der langfristig in der Außen- und Entwicklungspolitik verankert werden muss.
Bei dem virtuellen Fachgespräch “Wenn Trauma und Pandemie zusammentreffen: Hilfe für Kinder in Krisensituationen in Nahost” am 1. Dezember sprachen außerdem:
Dr. Wilfried Vyslozil, Vorstandsvorsitzender SOS-Kinderdörfer weltweit
Lur Katt, Sprecherin der SOS-Kinderdörfer Syrien
Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan, Leiter des Instituts für transkulturelle Gesundheitsforschung DHBW
Teresa Ngigi, Psychologin und MHPSS-Expertin SOS-Kinderdörfer
Dr. Elke Löbel, Beauftragte für Flüchtlingspolitik Bundesentwicklungsministerium