Im Sommer-Interview mit der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung habe ich u.a. über politische Ziele nach der Bundestagswahl, die Situation der Grünen in der Corona-Krise und die Fehlerkultur bei der Polizei gesprochen.
Herr von Holtz, halten Sie es mit dem früheren SPD-Chef und Vizekanzler Franz Müntefering, der sagte: „Opposition ist Mist“?
Ja! (lacht) Opposition ist schon Mist, das stimmt. Ich habe ja den direkten Vergleich, da ich vom Landtag aus einer Regierungskoalition in den Bundestag gewechselt bin. Das Regieren hat den Vorteil, dass man wirklich gestalten kann. Aus der Opposition geht das in begrenztem Maße auch, aber es ist ungleich schwerer. Man muss sich dabei auch Verbündete in der Zivilgesellschaft suchen, um mehr Druck aufzubauen.
Haben Sie den Wechsel nach Berlin schon bereut?
Nein, gar nicht. Mein Hauptmotiv für die Kandidatur war ja der Wunsch, mehr bei den außenpolitischen Themen aktiv zu werden und das hat ja zum Glück auch geklappt. Das ist im Landtag nur sehr begrenzt möglich – da gibt es zwar ein paar Europaangelegenheiten, aber das war’s dann auch.
Sie fühlen sich also nach wie vor Wohl in dem „Hühnerhaufen“ – so hat ihr Hildesheimer Bundestagskollege Bernd Westphal von der SPD die Grünen neulich im HAZ-Interview bezeichnet. Wie finden Sie das?
Ich musste so lachen, als ich das gelesen habe! Dass das ein Abgeordneter einer Partei sagt, die in den paar Jahren derart oft die Vorsitzenden ausgewechselt hat … (lacht), ich glaube, da muss er kleinere Brötchen backen! Und es ist auch einfach falsch: Robert und Annalena (die Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock, Anmerk. d. Red.) haben richtig Stabilität in die Partei gebracht und wir haben eine klare Richtung.
Dabei klang Bernd Westphal im selben Interview inhaltlich geradezu grün, als er über den Klimawandel und die Mobilitätswende sprach.
Die SPD versucht inzwischen, sich als Umwelt- und Klimaschutzpartei zu positionieren. Das ist vielleicht dem Verlustschmerz geschuldet, den sie verspüren, nachdem sie Wählerstimmen an uns verloren haben. Aber so richtig glaubwürdig, finde ich das nicht. Die SPD ist die Kohlekumpel-Partei, das hat man in der Debatte um den Kohleausstieg wieder gemerkt. Wir waren nach der letzten Bundestagswahl in den Jamaika-Sondierungsgesprächen mit CDU und FDP beim Thema Kohleausstieg schon weiter als die GroKo es dann war, nachdem die SPD da eingestiegen ist. Es ist doch ganz klar, wer da auf die Bremse getreten ist.
Teilen Sie aber Westphals Kritik, dass Hildesheimer Politik und Verwaltung bei Klima- und Umweltthemen wie Förderung des Radverkehrs und ökologisch sinnvollen Vorgaben für Neubaugebiete mutiger sein sollte?
Ja. Aber das ist kein Hildesheim-Problem. Ich glaube, das ist ein deutschlandweites Problem von Verwaltungen, die oft nicht flexibel genug sind. Man muss mal mehr ausprobieren, etwas wagen. Es geht darum, ob ich etwas erreichen möchte und dann den Weg dorthin suche – oder ob ich erst mal überlege, was alle dagegen sprechen könnte, dass es klappt. Das ist auch eine Einstellungssache.
Ihre Partei hatte einen langen Umfragen-Höhenflug, träumte schon von Kanzler Habeck oder Kanzlerin Baerbock. In der Corona-Krise ist Opposition aber noch größerer Mist, oder? Die Menschen wollen in solch einer Phase doch lieber eine entschlossene Regierung als Gemecker.
Na ja, wir sind jetzt in den Umfragen gar nicht so extrem abgetaucht. Von 20 bis 23 Prozent in der Zeit vor Corona auf jetzt 16 bis 18. Das sieht es für andere Oppositionsparteien schon schlechter aus, die AfD und die FDP stehen gar nicht gut da. Die Kanzlerin und auch Jens Spahn haben durch ihr Krisenmanagement viel Vertrauen erworben, wovon die CDU profitiert. Das ist so, keine Frage. Aber auch wir Grünen haben etwas beizutragen und sind auch hörbar. In der ersten Phase haben wir uns sehr kooperativ verhalten, was aber auch wichtig war, damit man eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz der Maßnahmen erreicht.
Waren Sie denn mit den Entscheidungen auch inhaltlich einverstanden oder haben Sie sich nur auf die Zunge gebissen, um keinen Streit zu riskieren?
Wir haben schon auch mitgeredet. Die Kanzlerin hat mit den Fraktionsvorsitzenden gesprochen und sich abgestimmt. Die Regierung hat durchaus Wert darauf gelegt, dass es einen Konsens gibt. Auch über die Länder, wo die Grünen mitregieren, konnten wir Einfluss nehmen.
Ist der Föderalismus das richtige System, um auf solch eine Krise zu reagieren, oder haben Sie es eher als hinderlich erlebt?
Ich stelle nach den bisherigen Erfahrungen in der Corona-Krise den Föderalismus nicht in Frage. Das System ist allerdings nachteilig, wenn sich Ministerpräsidenten profilieren wollen, so wie Laschet und Söder es mitunter getrieben haben. Und dann hat Stephan Weil irgendwann gemerkt, dass nur noch die beiden vorkommen und hat sich auch was ausgedacht … Es ist personenabhängig, wie groß die Kakophonie ist.
Die Regierung hat riesige Geldsummen locker gemacht, um die Folgen der Pandemie abzumildern. Glauben Sie, dass es reichen wird?
Wir haben sehr viel Geld in die Hand genommen, das stimmt. Es gibt aber nach wie vor viele, die durchs Raster fallen. Viele Soloselbstständige und Künstler haben keine Betriebsausgaben, können deswegen auch nichts geltend machen und bekommen keine Unterstützung. Irgendwann in den nächsten Jahren wird die Debatte beginnen, wer eigentlich
die Schulden bezahlt, die wir jetzt aufnehmen. Wenn dann der Rotstift angesetzt wird, werden das auch die Kommunen zu spüren bekommen. Meine größte Sorge ist, dass dann wieder bei den freiwilligen Leistungen gekürzt wird – dann werden womöglich Berufsgruppen, die jetzt schon durchs Raster fallen, noch einmal getroffen. Das müssen wir verhindern.
Welche Regierungskoalition wäre denn aus Ihrer Sicht die richtige für die nächste Legislaturperiode?
Die Grünen sollten natürlich dabei sein! Wir waren nach der Wahl 2017 bereit zu regieren, das sind wir nach wie vor. Und ich hoffe, dass nicht die FDP wieder mit am Tisch sitzen muss…, das war so anstrengend.
Die Linke ist doch sicher auch anstrengend, oder?
Bei der Linken sind die internen Lager deutlich ausgeprägter als bei uns. Ich arbeite im Entwicklungsausschuss hervorragend mit Vertretern der Linke-Fraktion zusammen, aber es gibt eben auch die, die gerade im außenpolitischen Bereich extrem ideologisch unterwegs sind, so dass wir uns die Haare raufen. Aber ich sehe ehrlich gesagt derzeit auch keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün.
Sie liebäugeln mit Schwarz-Grün?
Es gibt natürlich inhaltlich nach wie vor auch große Differenzen zwischen Grünen und CDU, aber ich habe viele CDU-Mitglieder auch als sehr verlässlich kennengelernt. Man ist dann nicht immer einer Meinung, aber Kompromisse und Vereinbarungen halten.
In den vergangenen Wochen ist die Debatte um den Umgang mit möglichen rechtsextremen Netzwerken in der Polizei entbrannt. Es geht um Abfragen von privaten Daten über Polizeirechner und anschließende Drohmails, die mit NSU 2.0 unterschrieben sind. Glauben Sie noch an Einzelfälle, von denen die Polizeivertreter sprechen oder hat die Polizei ein strukturelles Problem?
Ich glaube nicht, dass es in der Polizei einen strukturellen Rassismus gibt. Aber ich glaube, dass die Strukturen denjenigen, die so denken und handeln, Schutz bieten, sich auszutoben. Man muss gegen falschen Korpsgeist vorgehen. Denn darunter leiden auch alle Polizisten, die sauber sind und gute Arbeit machen. Die Innenminister müssen daran arbeiten, in der Polizei eine neue Fehlerkultur zu etablieren, die mehr Selbstkritik zulässt.
Noch ein thematischer Sprung, und zwar in die Lokalpolitik. Sie wollen im nächsten Jahr wieder in den Bundestag gewählt werden, es stehen in Hildesheim aber auch Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen an. Hätte Sie das gar nicht gereizt, sich für einen der Posten ins Spiel zu bringen?
Ich habe da nicht ernsthaft drüber nachgedacht, der Bundestag ist mein klares Ziel. Wenn, würde mich aber der Landrat mehr reizen als das Oberbürgermeister-Amt.
Interview: Jan Fuhrhop