Mit der Reform unter dem Label „BMZ 2030“ zieht sich Deutschland aus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit 25 Ländern zurück. Die Planung dieses Vorhabens ist voller Fehler, die Entscheidungen fielen ohne Rücksprache mit betroffenen Ländern oder multilateralen Akteuren, die in die entstehenden Breschen hätten springen können.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet über die Kleine Anfrage, die Uwe Kekeritz und ich zum Thema an die Bundesregierung gestellt haben und über unsere Kritik an der Umsetzung der Reform durch Entwicklungsminister Müller.
Besondere Bedürftigkeit der „Least Developed Countries“ spielt kaum eine Rolle mehr
Mit der Reform unter dem Label „BMZ 2030“ zieht sich Deutschland aus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit 25 Ländern zurück; mit 60 Ländern bleibt eine solche bestehen. Eine Konzentration des deutschen Engagements entspricht den bisher lange vernachlässigten eigenen Vorgaben und ist grundsätzlich sinnvoll. Unsere Anfrage an die Bundesregierung zeigt jedoch, dass bei der Auswahl der Länder auf der „Streichliste“ international anerkannte Kriterien (1) wie die besondere Bedürftigkeit der „Least Developed Countries“ (LDC) kaum noch eine Rolle spielen. Die Bundesregierung kippt neun der ärmsten Länder von der Liste (Burundi, Guinea, Haiti, Laos, Liberia, Myanmar, Nepal, Sierra Leone und Timor-Leste) und mit dem Sudan kommt nur ein LDC als künftiges Partnerland neu hinzu. Es braucht schon Chuzpe, angesichts dieses Ungleichgewichts vorzurechnen, dass – wegen der geringeren Gesamtzahl – der Anteil an LDCs an den Partnerländern „leicht gestiegen“ sei.
Widersprüchliche Kriterien entscheiden über Ende der Zusammenarbeit
Die Auswahl der Länder auf der Streichliste des BMZ zeigt deutlich, an welchen politischen Linien die Entwicklungspolitik stattdessen ausgerichtet wird. Ausschlaggebendes Kriterium bei 19 der 27 aus der Länderliste gefallenen Staaten ist laut Antwort der Bundesregierung die „geringe Signifikanz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“ . Das BMZ bescheinigt damit seiner bisherigen Zusammenarbeit vor allem mit lateinamerikanischen und südostasiatischen Ländern eine geringe Bedeutsamkeit. Das ist nicht mehr als eine billige Ausrede. Immerhin ist Deutschland in Lateinamerika mit 19 Prozent der in der Region eingesetzten Entwicklungsgelder nach den USA der größte bilaterale Geber (2). Gerade in Guatemala, Honduras und El Salvador, dem „Nördlichen Dreieck“ Zentralamerikas, ist der Rückzug ein fatales Signal, weil hier bereits die USA die Mittel gekürzt haben. Entscheidend für das Verbleiben auf der Liste deutscher Partnerländer sind weniger qualitative Kriterien oder Fragen der Bedürftigkeit, sondern geopolitische Interessen. Das zeigt sich besonders im Umgang mit den afrikanischen Ländern, die auf den Flucht- und Migrationsrouten nach Europa liegen. Sie bleiben Partner – ungeachtet ihrer oftmals autoritären Regierungsführung. Die aus Zentralamerika vor Gewalt und Armut flüchtenden Menschen sind in diesem Kontext offensichtlich weniger relevant. Das macht deutlich: Die Bundesregierung misst menschliche Not mit zweierlei Maß. Und sie bescheinigt denjenigen „gute Regierungsführung“, die für geostrategische Interessen dienlich sind. Mit wertegeleiteter Außen- oder Entwicklungspolitik hat das nichts zu tun.
Politik von oben herab: Partnerländer wurden nicht einbezogen
Ein weiteres Prinzip für die Ausrichtung von Entwicklungspolitik sollte die Partnerorientierung sein. Bundesentwicklungsminister Müller bemüht sich in seiner Antwort, eben diese zu betonen, stellt aber im selben Atemzug klar, dass die Partnerländer nicht in die Entscheidungen über die Länderliste einbezogen waren . Vielmehr wurden diese in den meisten Fällen erst im Mai über die Beendigung der bilateralen Zusammenarbeit informiert – zu einem Zeitpunkt als das Reformpapier schon längst beschlossen und veröffentlicht war. Das ist Politik „von oben herab“. Minister Müller spricht gerne von gleichberechtigter Kooperation und einer Entwicklungszusammenarbeit „auf Augenhöhe“ – davon kann bei dieser Reform wahrlich keine Rede sein.
Mit dem Kopf durch die Wand – Müller ignoriert Folgen seiner Entscheidungen
Nicht nur die Art und Weise, wie das Entwicklungsministerium seine Entscheidungen über die Beendigung von bilateralen Entwicklungspartnerschaften getroffen und kommuniziert hat, ist schlecht. Besonders problematisch ist, dass das BMZ seine Reform veranstaltet, ohne vorher einen Ausgleich für die gravierenden Auswirkungen anzubahnen, die ein Rückzug aus zahlreichen Partnerländern für die dortigen Programme bedeutet. Auch eine Abstimmung mit anderen internationalen Gebern dazu fand im Vorhinein nicht statt. „In Ländern, mit denen das BMZ zukünftig nicht mehr bilateral staatlich zusammenarbeitet, sollen geeignete Anknüpfungspunkte für das Engagement multilateraler Organisationen identifiziert werden“, schreibt das Ministerium . Das heißt im Umkehrschluss nichts anderes als: Der Exit aus Ländern wie Sierra Leone – einem Land, das von den Folgen eines Bürgerkrieges, der Ebola-Krise, Corona und extremer Armut gebeutelt ist – wurde beschlossen, ohne dass es eine Strategie dafür gab, wie gestrichene Gelder aus Deutschland durch multilaterale Programme etwa der Vereinten Nationen kompensiert werden können. Unter Wirksamkeits- und Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten ist dieses Vorgehen des Ministers eine Katastrophe (3). Hier sind Scherbenhaufen vorprogrammiert. Das trifft natürlich die deutschen Entwicklungsorganisationen, aber letztlich trifft es besonders die Menschen in den wenig entwickelten Ländern, die bislang von den geförderten Projekten profitieren konnten.
Anmerkungen:
1 Vgl. Präambel zur Nachhaltigkeits-Agenda 2030 der Vereinten Nationen: „As we embark on this great collective journey, we pledge that no one will be left behind. Recognizing that the dignity of the human person is fundamental, we wish to see the Goals and targets met for all nations and peoples and for all segments of society. And we will endeavour to reach the furthest behind first.“
2 Vgl. https://www.oecd.org/dac/financing-sustainable-development/development-finance-data/America-Development-Aid-at-a-Glance-2019.pdf#page=4 (hier: Tabelle a „Top 10 donors by amount“)
3 Eklatant ist an dieser Stelle auch die Diskrepanz zwischen der stümperhaften eigenen Planung des BMZ und dem, was das Ministerium von jedem geförderten EZ-Projekt verlangt. Die weitreichende Reform des BMZ, deren Umsetzung nun im Nachgang erst noch geplant werden muss – durch Exit-Strategien für die Länder auf der Streichliste sowie Umsetzungs- und Businesspläne im Haus -, wird den eigenen Ansprüchen nicht gerecht im Vergleich zu jedem EZ-Vorhaben, dass mit Ex-ante Wirkungsanalysen – Abschätzungen zu möglichen negativen Wirkungen-, Projektplanungs-Übersichten mit festen Zielen und Indikatoren bereits im Vorfeld stark durchgeplant werden muss.