Z u dem von ihnen in Auftrag gegebenen Sachstand „Die Corona-Pandemie im Lichte des Völkerrechts: Zum rechtlichen Rahmen für Schadensersatzklagen gegen die Volksrepublik China“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages erklären Ottmar von Holtz und Jürgen Trittin:
Informationspolitik ist in der Corona-Krise zum Politikum geworden. Die USA haben schwere Vorwürfe gegen China erhoben, Informationen zum Ausbruch der Pandemie zurückgehalten zu haben. China bestreitet das. Die Bundesregierung behauptet, ihr sei „nicht bekannt, dass China Daten zurückgehalten“ habe. Einzelne, von Republikanern regierte US-Bundesstaaten haben bereits Klage gegen die Volksrepublik China erhoben aufgrund angeblicher Verletzung der Informations-, Warn-, Berichts- und Konsultationspflichten – zudem vor US-Gerichten. Wir haben daher den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags gebeten, die juristischen Implikationen und Aussichten dieser Klagen zu beurteilen – sowie die völkerrechtlichen Pflichten der Staaten in Pandemiezeiten zu erörtern.
Laut Gutachten schützt die im Völkerrecht garantierte Staatenimmunität China vor Klagen vor US-Gerichten. Eine Klage gegen China vor dem Internationalen Gerichtshof hingegen sei „verfahrensrechtlich kompliziert, politisch heikel und juristisch nicht geklärt.“ Die Klagen aus den USA sind deshalb ein politischer Schnellschuss ohne Substanz. Bei Schadensersatzklagen gegen China, so der Wissenschaftliche Dienst, „wäre es praktisch nicht möglich, im Rahmen einer lückenlosen Beweisführung zu unterscheiden zwischen Corona-Schäden, die sich allein auf Versäumnisse des beklagten Staates zurückführen lassen, und solchen Schäden, die durch ein etwaiges Pandemie-‘Missmanagement‘ des klagenden Staates hervorgerufen, getriggert oder vergrößert wurden“.
Das Gutachten hält es „psychologisch“ für „nachvollziehbar, dass Staaten und individuell Geschädigte nach ‘Schuldigen‘ suchen“. Der Wissenschaftliche Dienst macht aber auch keinen Hehl daraus, was seiner Ansicht nach hinter diesem Verhalten steckt: „um von eigenen Versäumnissen abzulenken“. Die Schlussfolgerung des Wissenschaftlichen Dienstes lautet: „dass die Frage nach der Schuld nicht wirklich weiterführt“.
Wir sind der Ansicht, gegenseitige Schuldzuweisungen lenken von den Lehren dieser Pandemie ab. Es braucht eine unabhängige, transparente, internationale Aufklärung zum Ursprung des Virus, den Informationsabläufen und des Pandemieverlaufes. Eine solche Untersuchung muss auch das Zusammenspiel des Versagens im Krisenmanagement unterschiedlicher Staaten beleuchten. Dieses können weder die Nachrichtendienste einzelner Staaten klären, noch geht dies ohne Beteiligung der Wissenschaft wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Die WHO ist trotz Fehlern – auch in der Coronakrise – das beste Instrument zur Bekämpfung einer Pandemie. Schlicht, weil es die einzige internationale Organisation dafür ist. Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen, dass dieses Instrument zerstört wird und muss sie mit signifikanter Finanzierung stärken. Der WHO-Notfallfonds gegen Epidemien ist unterfinanziert, obwohl Corona schmerzlich verdeutlicht, wie wichtig es ist, gegen globale Krankheitsausbrüche weltweit und gut organisiert vorzugehen.
Wir teilen die Besorgnis der Bundestags-Wissenschaftler, dass es im Zuge der COVID-19 Pandemie zu einer „Diskursverschiebung“ hin zu „Kriegsrhetorik“ kommt, die Fragen der Pandemie zu „sicherheits- und verteidigungspolitische(n)“ Fragen macht.
Zu erwähnen bleibt, dass es laut neusten Berichten keine bedeutsamen Geheimdienstinformationen zu dem Ursprung des Virus gab, wie von US-Außenminister Mike Pompeo behauptet worden war, sondern dass es sich beim Inhalt des Dossiers, das ursprünglich der Geheimdienstallianz „Five Eyes“ zugeschrieben wurde, lediglich eine (US-)Sammlung öffentlich zugänglicher Informationen handelt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab indessen bekannt, sie habe „von der US-Regierung keine konkreten Daten oder Beweise über die angebliche Herkunft des Virus erhalten, sodass dies aus [ihrer] Perspektive weiterhin spekulativ“ sei (). Dieser Umstand ist in dem Sachstand nicht korrekt dargestellt. Das belegt die Gefahren der Verbreitung von Falschinformationen in der aufgeheizten Stimmung in einer Pandemie.