Im Interview mit der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung berichtet Ottmar von Holtz von seiner Reise nach Malta, wo er die Seenotretter besuchte, die seit Monaten im Hafen festliegen. Das Interview führte Kathi Flau.

Herr von Holtz, zwei Tage haben Sie auf der „Seefuchs“ verbracht. Reicht diese Zeit aus, um wirklich einen Eindruck von der Situation vor Ort zu bekommen?

Ich hatte schon gehofft, dort mehr über die Arbeitsbedingungen der Seenotretter zu erfahren. Dass das schwierig war, lag allerdings weniger an der knappen Zeit. Sondern daran, dass die Rettungsschiffe derzeit im Hafen festliegen. So ging das Ganze nur über Gespräche. Dennoch werden manche Eindrücke vor Ort sehr plastisch. Die Enge auf der „Seefuchs“ lässt einen zumindest erahnen, was es heißt, dort 100 Menschen an Bord zu haben.

Die Seenotretter haben derzeit ja nicht nur das Problem, nicht auslaufen zu dürfen. Der Kapitän der „Lifeline“ steht demnächst vor Gericht, und auch viele Malteser sehen die Arbeit kritisch.

Ja, im Grunde bewegen sich die Seenotretter ständig in einem Spannungsfeld zwischen dem Vorwurf, das Geschäft der Schlepper überhaupt erst lukrativ zu machen, und der Pflicht, in Seenot geratenen Menschen zu helfen. Wobei der Vorwurf, dass sie Schleppern in die Hände spielen, natürlich zynisch und menschenverachtend ist. Es gibt klare Regeln des Seerechts, und daran halten sich die Seenotretter.

Was ist denn dann der Kern des Problems?

Ich denke, am Ende geht es Politikern und Behörden darum, dass die Menschen auf dem Mittelmeer nicht gerettet werden sollen. Es soll das Signal nach Afrika gehen: Macht Euch gar nicht erst auf den Weg, es ist zu gefährlich, Ihr werdet ertrinken und niemand rettet Euch.

Wäre das nicht eine humanitäre Bankrotterklärung?

Absolut. Aber die Geschichte fängtja schon viel früher an. Denn am Ende machen die Seenotretter das, was Italien mit der Operation „Mare Nostrum“ im Oktober 2013 nach den Bootsunglücken vor Lampedusa begonnen hatte. Die EU hat Italien damals im Stich gelassen, und sie tut es heute noch. Das ist für mich der Skandal.

Aber was folgt daraus für Ihre Partei, die Grünen?

Es ist eine unerträgliche Schande, dass tausende Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken. Zivilgesellschaftliche Seenotrettung springt ein, wo Staaten versagen oder ihre Schutzpflicht sogar wissentlich verweigern. Wir Grünen fordern darum den Aufbau eines europäisch organisierten und finanzierten zivilen Seenotrettungssystems.

Sie selbst sind in Namibia aufgewachsen – wie schätzen Sie denn die Afrikapolitik Europas ein?

Die ist momentan viel zu sehr darauf ausgerichtet, zu verhindern, dass Menschen hierher kommen. Es wird zu wenig darüber gesprochen, was zu tun ist, damit Afrikaner in Würdein ihrer Heimat leben können. Und zu wenig darüber, wie wir legale Migrationswege schaffen können. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, damit wir hier verstehen, was es heißt, globale Migration so zu steuern, dass alle damit leben können.

Denken Sie, Ihr Besuch war ein wichtiges Zeichen für die Seenotretter?

Ich wollte ihnen in dieser schwierigen Zeit, wo sie zum Zuschauen verdammt sind, zeigen, dass sie von Deutschland aus nicht nur angefeindet, sondern auch unterstützt werden. In den Gesprächen habe ich gemerkt, welche körperlichen und seelischen Herausforderungen mit ihrer Arbeit verbunden sind. Ich kann nur sagen: Hut ab, macht weiter, so lange ihr könnt!