A uf Schritt und Tritt begleitete Björn Stöckemann Ottmar von Holtz an seinem Arbeitsplatz in Berlin. Was der Redakteur der Hildesheimer Wochenzeitung “Kehrwieder am Sonntag” zwischen Reichstag und Unter den Linden beobachtete, lesen Sie in seinem Porträt:
Am Abend der Bayernwahl strahlt die Hauptstadt. Berlin feiert das Festival Of Lights. Künstler aus aller Welt machen Botschaften, Ministerien und Wahrzeichen zu Ausstellungsflächen. „Connection Cultures“, Kulturen verbinden, ist das Thema am Brandenburger Tor. Unter der Quadriga leuchten Symbole und Formen auch aus Afrika, auch in grün.
Ottmar von Holtz strahlt währenddessen in Hildesheim. Die Grünen, Partei seiner Wahl seit 2004, steigen im Freistaat zur zweitstärksten Kraft auf. Auch für von Holtz geht es nach oben. Von der Grün-Alternativen Jugend Hannover, die er 1985 mitgründete, hat er es 2017 zum Mitglied des Deutschen Bundestages gebracht.
Das tägliche Brot eines Abgeordneten
Nach der Wahlparty im Wahlkreis beginnt die Arbeitswoche in Berlin bei Brot für die Welt. Das Hilfswerk hat mit der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) zur Konferenz über die „Leitlinien Krisenprävention“ geladen. Auf dem Podium sitzt von Holtz, als Vorsitzender des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktberatung und vernetztes Handeln“, neben Verantwortlichen aus dem Auswärtigen Amt, vom Beirat Zivile Krisenprävention und aus dem Parlament. „Ich freue mich ganz besonders, eine neue Person bei uns begrüßen zu können“, eröffnet Christoph Bongard von der ZKB den Tag.
Im April dieses Jahres hat er den Hildesheimer Abgeordneten kennen gelernt. Seitdem ist der 57-Jährige beliebter Ansprechpartner für die Plattform. Jemand, der offen sei, für Vorschläge und Anliegen, jemand der parteiübergreifend für seine Themen werben und Öffentlichkeit herstellen kann. Themen sind die Krisenherde dieser Welt. Von Holtz trifft sich mit Vertretern aus dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze und den Reportern ohne Grenzen, mit Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, und Michael Gleich, Initiator des Global Peacebuilders Summit. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen Völkermord und Bürgerkrieg, Diktatoren und Milizenführer. Es geht um Mali, Eritrea, Äthiopien, den Krieg im Jemen, die Konflikte zwischen den Golf-Staaten und darum, wie viele Dorfapotheken für den Preis von einem Kampfjet bezahlbar wären (Antwort: 50.000).
„In Deutschland haben wir ein sehr aktives Feld in der zivilen Krisenprävention“, schätzt von Holtz. Die Betonung legt er dabei auf das Adjektiv. Neben den Entscheidern in den politischen Organen, nehmen Treffen mit der Zivilgesellschaft viel Platz in seinem Kalender ein. „Für uns ist er ein Glücksfall“, bestätigt Bongard. Sein Mandat ernsthaft auszufüllen bedeutet für von Holtz „alle Anliegen rund um mein Thema kennen zu lernen, abzuwägen und daraus politisches Handeln abzuleiten. “
Das macht die Tage lang und die Nächte kurz. Zwischen der Wahlparty in Hildesheim und dem Workshop bei Brot für die Welt liegen eine ICE-Fahrt, wenig Schlaf und ein Berg von Akten. Der Tagesplan ist voll, es geht von einem Termin zum nächsten. Das tägliche Brot eines Abgeordneten, wie es ein Kollege nennt: zu spät zum Termin kommen, früher gehen. „Daran habe ich mich schon gewöhnt“, lacht von Holtz.
Trotz 80-Stunden-Wochen geht von Holtz mit strammem Schritt („den habe ich mir hier angewöhnt“) durch die Hauptstadt. Auf Fahrrad oder Fahrdienst verzichtet er bewusst häufig. Der Nachhause-Weg zu Fuß ist seine Zeit, um zu reflektieren, zu verarbeiten, abzuschließen. Denn: Die Arbeit in der Krisenprävention auf Bundesebene hat Tragweite.
Jüngst hatte sein Ausschuss Menschenrechtsaktivisten aus Kamerun zu Besuch. Das westafrikanische Land steht, bisher unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, am Rande eines Bürgerkrieges. (Wer dort warum gegen wen kämpft, kann von Holtz beim Mittagessen zwischen den Bissen in wenigen Sätzen erklären.) Die Namen drangen an die Öffentlichkeit, die Besucher sind in Lebensgefahr. „Jede unserer Entscheidungen hat Konsequenzen“, weiß von Holtz. Jetzt bemüht er sich, in ein Hilfsprogramm zu kommen, um die Aktivisten in Sicherheit zu bringen.
Die lieben Kollegen
Die ganze Welt kann auch Ottmar von Holtz nicht allein im Auge behalten. „Ich liebe mein Team.“ Fünf Stellen stehen seinen Büros in Berlin und Hildesheim zur Verfügung, dazu kommen eine studentische Kraft und Praktikumsplätze. Das Team ist für den angesprochenen Aktenberg und gefüllten Terminkalender verantwortlich. Wenn von Holtz durch Berlin eilt, hat er eine rote Mappe dabei, mit allen Unterlagen für den Tag. Einladungen zu Veranstaltungen, Hintergrund-Infos, Lebensläufe von Gesprächspartnern. Das Team lotst ihn durch die Häuserschluchten der Hauptstadt.
„Viele Abgeordnete sind zwar gute Politiker, aber schlechte Chefs“, findet ein Mitarbeiter, „aber Ottmar kann beides.“ Zwischen Ausschusssitzungen, Arbeitskreisen und Parlamentsdebatten stellt von Holtz regelmäßig Bürorunden und ausführliche Mitarbeitergespräche in seinen Kalender. Er war schließlich viele Jahre selbst Angestellter. Der Diplom-Ökonom war Referent und Referatsleiter am Niedersächsischen Landesamt für Statistik und im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium.
Geschätzt ist er auch bei seinen Kollegen. „Er ist ein Vorsitzender, auf den wir uns verlassen können“, lobt Unterausschuss-Mitglied Thorsten Frei von der CDU. Er habe „schnell den Geist der Zusammenarbeit aufgegriffen und sich eingebracht“, meint auch Kathrin Vogler von Die Linke. Weitere Zuschreibung: unaufgeregt, kompetent, freundlich. Omid Nouripour, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen kann seinem Parteifreund nur vorhalten, dass er 96-Fan ist. Ein Fakt, den er ihm beim Treffen auf der Straße schadenfroh unter die Nase reibt. „Er ist hier angekommen und nicht untergangen“, stellt Parteikollege Uwe Kekeritz fest.
Trotzdem scheint „Unter den Linden“ nicht nur die Sonne. In der Straße haben die Grünen ihre Büros und teilen sich die Adresse mit FDP, Linke – und AfD. Auf den Fluren ist die Stimmung gedrückt. Mitarbeiter der AfD sitzen schon mal in einem Büro mit Burschenschaftsflagge. Zum Eklat kam es, als ein AfDler einen Grünen körperlich und verbal angegangen haben soll. Von Holtz grüßt deswegen auf dem Flur niemanden, den er nicht kennt, bei fremden Gesichtern in der Parlaments-Bar „Ossi“ (benannt nach Gründer Oswald) ist er skeptisch. „Ich will mit diesen Menschen nichts zu tun haben.“
Heimat
Wenn von Holtz und seine Kollegen ihre Arbeit gut machen, nimmt kaum jemand davon Notiz. Das ist die Krux der Prävention. Ein Massaker ist eine Schlagzeile, Frieden nicht der Rede wert. Wenn von Holtz mit seiner Arbeitsgemeinschaft (AG) „Globale Entwicklung“, der unter anderem auch Claudia Roth angehört, zusammensitzt oder sich mit den anderen AGen aus dem Bereich „Internationales“ trifft, passiert das geräuschlos. Sonst drohen die bereits erwähnten Konsequenzen.
Seine Themen sind vielleicht auch deswegen schwierig in der Region, in seinem Wahlkreis, populär zu machen. Die Stromtrasse Südlink, fehlende Kita-Plätze oder ein stabiles Rentenniveau betroffen die Menschen unmittelbar. Malawi, Niger oder Namibia sind weit weg. „Unseren Frieden und unseren Wohlstand sichern wir durch Europa und die Deutsche Außenpolitik“, betont von Holtz.
Wer mit von Holtz durch das politische Berlin eilt, der bekommt einen Eindruck davon, auch, wie sehr er dafür brennt. Regelmäßig vergibt er Praktika und Hospitationen in den Landkreis. „Das mache ich sehr gerne.“ Zum einen, um gegen das Bild von „denen da oben“ und „wir hier unten“ anzugehen, zum anderen, um „diese Ferne“ zwischen Wahlkreisarbeit und seinem Thema zu überwinden.
Als Listenabgeordneter, einer von sechs Grünen aus Niedersachsen, erstreckt sich sein Zuständigkeitsbereich von Hildesheim auch nach Peine, Gifhorn, Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Wolfenbüttel und Helmstedt. Für Hildesheim ist Bernd Westphal als Direktmandatsträger zuständig. „Eine Konkurrenz gibt es aber nicht im persönlichen Verhältnis“, winkt dieser ab. Von Holtz sei ein „feiner Kerl“ und geschätzter Kollege. Auch Bernd Lynack, der mit von Holtz im Landtag saß, hat gute Erinnerungen an die gemeinsame Arbeit. Das Band zwischen Berlin und Hannover sei zwar dünner, der Draht aber weiterhin kurz. „Ich habe keine Scheu, ihn zu fragen, weil ich weiß, dass er mir seine Meinung ehrlich ins Gesicht sagt.“
Westphal ist wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion, Lynack für die SPD im niedersächsischen Innenausschuss. Die Schnittmengen zu von Holtz sind überschaubar, aber vorhanden. Geschäftsbeziehungen in „Dritte Welt“-Länder, Migrationspolitik. Man denke nur an den Einsturz der Textilfabrik in Bangladesh, wo auch deutsche Discounter ihre Waren herstellen ließen oder die Flüchtlingssituation seit 2015.
Augenhöhe zwischen Europa und Afrika – wo von Holtz weiterhin Familie hat – zu schaffen, ist ein Anliegen. Sein Herzensprojekt betrifft sein Geburtsland. „Ich arbeite an einer Bundestagsresolution zum Völkermord an den Herero.“ Deutschland soll sich zu seiner kolonialen Vergangenheit bekennen und Verantwortung übernehmen. Es ist eines seiner großen Ziele als Mitglied des Bundestages.
Vor der Fraktionssitzung klirren wieder die Champagner-Gläser. Während draußen die Kameras warten, feiert die Partei nochmal den Achtungserfolg in Süddeutschland. Selbstverständlich auch dabei: Cem Özdemir. Auf von Holtz angesprochen antwortet der langjährige Parteivorsitzende druckreif und routiniert. „Wir schätzen ihn sehr, für seine exzellenten Kontakte, seine fleißige Sacharbeit. Er ist prädestiniert für dieses schwierige Thema. Wenn das einer schafft, dann er.“
Den “Kehrwieder am Sonntag” vom 20. Oktober 2018 als PDF gibt es hier.