M ädchen sind in Konfliktregionen die ersten, bei denen Bildung und Gesundheitsversorgung zu kurz kommen. Starke und gebildete Mädchen sind aber wichtig für Frieden und Entwicklung in ihren Ländern.
Tahani ist neun Jahre alt und lebt im Südsudan. Dort tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg, weshalb es für Tahani immer wieder zu gefährlich ist, zur Schule zu gehen. Sie teilt ihr Schicksal mit 75 Millionen anderen Kindern zwischen drei und 18 Jahren weltweit, die wegen Konflikten und Instabilität nicht zur Schule gehen können. Dies zeigt der aktuelle Bericht des Fonds „Education Cannot Wait“.
Mädchen sind besonders benachteiligt: Sie sind zweieinhalb mal häufiger vom Schulunterricht ausgeschlossen als Jungen. Denn wo der Zugang zu Bildung knapp und teuer ist, werden in vielen Ländern als Erstes die Mädchen davon ausgeschlossen. Damit wird der Grundstein für ein prekäres Leben gelegt, das von Gewalt, Unsicherheit, Armut und Perspektivlosigkeit geprägt ist.
Wir müssen verhindern, dass ganze Generationen von Kindern im Stich gelassen werden. Denn sie werden als Erwachsene umso geringere Chancen auf ein selbstbestimmtes und friedliches Leben haben. Es droht eine „verlorene Generation“ heranzuwachsen.
Bildung zahlt sich für alle aus
Bildung liefert eine hohe Friedensdividende. Sie stärkt das Selbstbewusstsein und fördert gesellschaftliches Engagement. Sie liefert ein besseres Verständnis von Demokratie und trägt somit entscheidend zur Lösung von Konflikten sowie zu mehr Toleranz bei. Das ist keine Behauptung, sondern messbar: Das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat ermittelt, dass mehr Bildungsgerechtigkeit zwischen Mädchen und Jungen die Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Konflikten um 37 Prozent verringert.
Mädchen profitieren in vielerlei Hinsicht vom Zugang zu Bildung. Sie heiraten im Schnitt dreimal seltener in minderjährigem Alter, als Teenager werden sie seltener schwanger, sie sind besser vor Menschenhandel, Prostitution und Kinderarbeit geschützt, sie haben eine bessere Aussicht auf Arbeit und ein selbstbestimmtes Leben.
Doch dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen: Niemand lernt gut, wenn vor der Schule Bomben explodieren oder Lehrer gewalttätig werden. Auch die Sicherheit des – oftmals kilometerweiten – Schulwegs muss gewährleistet sein. Es braucht getrennte Sanitäreinrichtungen, die den Mädchen einen sicheren Raum bieten. Der Schulunterricht muss über die gängigen Fächer der Grundbildung hinaus auch Sexualkunde beinhalten, die den Mädchen ein selbstbestimmtes Sexualleben ermöglicht und ihnen vergegenwärtigt: Es ist deine Entscheidung, ob und wann du ein Kind bekommen möchtest.
Eng damit verbunden ist die Enttabuisierung der Menstruation. Viele Mädchen fehlen rund drei Tage monatlich, weil sie keine hygienischen Möglichkeiten haben, sich um ihre Monatsblutung zu kümmern. Und wir brauchen endlich eine schonungslose – weltweite – Debatte über den Unsinn der Beschneidung von Mädchen. Die traumatischen Erfahrungen sexualisierter Gewalt, die viele Mädchen in Kriegsgebieten erleiden, müssen professionell aufgefangen werden. Hierzu müssen die Lehrerinnen und Lehrer geschult und Räume für therapeutische Sitzungen geschaffen werden.
Bundesregierung muss mehr tun
All dies zu gewährleisten, ist nicht einfach. Derzeit werden weniger als drei Prozent der humanitären Hilfe für Bildung ausgegeben, so dass hier weltweit knapp 8,5 Milliarden Euro fehlen. Dadurch kann die notwendige Kontinuität und Planbarkeit nicht gewährleistet werden. Damit das Recht auf Bildung bis 2030 für jedes Kind Wirklichkeit wird, brauchen wir dringend ein verstärktes politisches und finanzielles Engagement. Um zu gewährleisten, dass die Finanzierungslücke gezielt geschlossen werden kann, müssen wir mehr in multilaterale Töpfe investieren.
Deshalb wurde auf dem World Humanitarian Summit 2016 der Fonds „Education Cannot Wait“ (ECW) ins Leben gerufen. Ziel des ECW ist es, mehr Mittel für Bildung im Kontext von Krisen und Konflikten zu liefern sowie für eine bessere Koordinierung und schnellere Mittelvergabe zu sorgen. Deutschland unterstützt diesen Fonds noch zu wenig: Ende 2016 wurden 16 Millionen Euro investiert und für 2018 und 2019 sind keine Mittel zugesagt.
Mit der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ hat sich die Weltgemeinschaft dem zentralen Prinzip „Niemanden zurücklassen“ („leave no one behind“) verschrieben. Im Juni 2018 keimte Hoffnung bei allen, denen die Zukunft der Mädchen in Lagern für Geflüchtete und Konfliktgebieten besonders am Herzen liegt: Beim G7-Gipfel in Kanada gaben die Staatenlenker einen begrüßenswerten Impuls für mehr Geschlechtergerechtigkeit und für den verbesserten Zugang zu hochwertiger Bildung für Mädchen.
Doch Resolutionen bleiben wohlfeil, wenn die Regierungen sie abheften, statt sie umzusetzen. Die Bundesregierung sollte die Vorgaben aus der G7-Resolution umsetzen. Sie sollte zusätzlich ein Konzept entwerfen, wie sie die vielen Aspekte unter einen Hut bringt, damit ihre Bemühungen nicht verpuffen. Der heutige Welttag der Mädchen wäre ein guter Anlass, damit anzufangen.